Realexperimente gestalten und umsetzen

Im Projekt «Garten bildet: Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Kunstvermittlung im Dialog» arbeiteten Wissenschaftler:innen und Praxisakteur:innen in Realexperimenten zusammen. Im Folgenden wird die Gestaltung und Umsetzung dieser Realexperimente ausgehend von theoretisch-konzeptionellen Überlegungen und den gemachten Erfahrungen vorgestellt.

Ablauf eines Realexperiments

In Realexperimenten arbeiten unterschiedliche Wissenschafler:innen und Praxis:expertinnen transdisziplinär zusammen. Ziel ist es, dass jede:r Akteur:in die eigene Expertise, Perspektive und Interessen einbringen kann und diese gemeinsam gewinnbringend aufeinander bezogen werden. Ein solcher Prozess ist herausfordernd und verlangt von allen Beteiligten eine grosse Offenheit. Mit dem Format der Realexperimente wurde ein Rahmen spezifisch weiterentwickelt und erprobt, um diesen Prozess im Projekt gelingend zu gestalten.

Ein Realexperiment im Projekt umfasst eine Planungs-, Umsetzungs- und Abschlussphase. Gelingensbedingungen und Ablauf der Phasen werden im Folgenden beschrieben.

Abbildung: Ablauf eines Realexperiments im Projekt (eigene Abbildung)

Ausgangslage schaffen

Im transdisziplinär zusammengesetzten Team sind Lehrpersonen, Kunstschaffende und Forschende (Projektmitarbeitende der Pädagogischen Hochschule) mit dabei. Der Einbezug des Praxisfeldes wird durch die Lehrpersonen und Kunstschaffenden sichergestellt, die Forschenden vertreten die Perspektive der Wissenschaft.

Ein zentrales Element eines Realexperiments ist die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und gleichwertige Behandlung der verschiedenen Perspektiven. Es gilt daher, zu Beginn der Kooperation eine Ausgangslage zu schaffen, auf dessen Basis die Unterrichtsplanung möglich wird. Damit dies gelingt, braucht es zudem ein gemeinsames Verständnis über Zielstellungen und Methoden, vermehrte Absprachen und eine geteilte Sprache. Alle Beteiligten bringen ihre jeweilige Expertise sowie ihre Erfahrungen und Perspektiven ein.

Planung

Ist diese Grundlage geschaffen, erfolgt die gemeinsame Planung des Unterrichts unter Einbezug aller Expertisen. Durch das Zusammenbringen unterschiedlichen Wissens entstehen neue Ideen, Aushandlungen finden statt, Entscheidungen werden getroffen. In mehreren Zyklen von inter- und transdisziplinärer Reflexion und Nachsteuerung wird die Unterrichtsumgebung weiterentwickelt sowie die Grundlagen fortentwickelt und adaptiert.

Realweltliche Intervention

In der Umsetzungsphase kommt es zur realweltlichen Intervention (Wanner & Stelzer, 2019, S. 3). Das bedeutet, die erarbeitete Unterrichtsumgebung wird im realen Kontext, sprich in der Schule, umgesetzt und erprobt. Dabei liegt die Hauptverantwortung bei der Lehrperson. Einsätze der Künstlerin oder des Künstlers im Unterricht finden gemäss Planung punktuell statt. Diese Phase zeichnet sich durch eine starke Prozessorientierung und situatives Handeln aus.

Co-Forschung

Im Sinne einer Co-Forschung dokumentiert die Lehrperson den Entwicklungsprozess der Planung sowie die Unterrichtsumsetzung zu Händen der Forschenden und reflektiert den Unterricht regelmässig. Sie sammelt zudem entstandene Dokumente und Materialien. Auch die kunstschaffende Person reflektiert ihre Einsätze im Unterricht. Die Forschenden besuchen den Unterricht punktuell und befragen die Lehrenden und Lernenden im Anschluss an die Unterrichtsumsetzung.

Reflexion und Transfer

Die Abschlussphase steht im Zeichen der Reflexion und des Transfers. Gemeinsam werden sowohl die erprobte Unterrichtsumgebung als auch die Zusammenarbeit im transdisziplinären Team in den Blick genommen. Individuelle Lernprozesse aller Beteiligten wie auch Gelingensbedingungen und Herausforderungen werden thematisiert und die Ergebnisse sowie neues Wissen gesichert.

Erkenntnisse und Ergebnisse fliessen in die Konzeption nachfolgender Realexperimente ein und werden in Praxis und Wissenschaft transferiert. Dadurch wird der iterative Gedanke eingelöst.

Theoretischer Hintergrund

Was ist ein Realexperiment und was zeichnet die Methode aus? Eine kurze theoretische Heranführung an das Format beantwortet diese Fragen vor dem Hintergrund des Projektes.

Ein Realexperiment ist eine wissenschaftliche Intervention, bei der Forscher:innen zusammen mit Praxisakteur:innen Projekte in realen Alltagssituationen umsetzen und erforschen.

Ein Realexperiment ist eine Versuchsform der transdisziplinären Forschung im Rahmen von Reallaboren*. Expert:innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen arbeiten gemeinsam mit relevanten Akteur:innen aus der Praxis zusammen, um komplexe Probleme in realen Situationen zu untersuchen und Lösungen zu entwickeln. Jede Gruppe bringt dabei ihre jeweilige Perspektive und Expertise ein. Diese transdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht es, ein breites Spektrum an Informationen und Kenntnissen zu nutzen, um ein umfassendes Verständnis des Problems zu entwickeln und massgeschneiderte Lösungen zu finden. Durch die Umsetzung eines Realexperiments in der Alltagswelt können Ergebnisse und Erkenntnisse direkt auf reale Situationen und Probleme angewendet werden. Perspektiven von betroffenen sowie beteiligten Akteur:innen können einfliessen. Dazu werden die Realexperimente und Lösungen im Sinne eines iterativen Vorgehens immer wieder reflektiert und ihr Projektverlauf stetig weiterentwickelt. Dies führt zu praxisnahen und wirkungsvollen Lösungen und kann einen positiven gesellschaftlichen Wandel fördern.


Quelle:
*weiterführende Literatur zu Reallaboren: Defila, R., & Di Giulio, A. (2018). Reallabore als Quelle für die Methodik transdisziplinären und transformativen Forschens – Eine Einführung. In R. Defila & A. Di Giulia (Hrsg.), Transdisziplinär und transformativ forschen. Eine Methodensammlung (S. 9-35). Springer VS.

Realexperimente sind ein passendes Forschungsformat für die Bearbeitung von komplexen Fragestellungen, das sowohl Ergebnisse im Bereich der Praxis als auch der Wissenschaft hervorbringt.

Im Kontext von Nachhaltiger Entwicklung ist die Frage, wie wollen wir in Zukunft leben bzw. was ist ein gutes Leben für alle zentral. Damit verbunden stellen sich komplexe Herausforderungen wie das Verstehen gesellschaftlicher Prozesse, die Entwicklung von tragfähigen Ideen und Lösungen (welche aktuellen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen) und deren Verbreitung in der Gesellschaft. Zur Bearbeitung dieser Herausforderungen ist die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen (interdisziplinär) sowie auch mit verschiedenen gesellschaftlichen Praxisakteur:innen (transdisziplinär) Voraussetzung. Ein mögliches Format, um solche Entwicklungs- und Transformationsprozesse anzustossen und zu begleiten, sind Reallabore und ihre Realexperimente.

Beecroft, R., Trenks, H., Rhodius, R., Benighaus, C., & Parodi, O. (2018). Reallabore als Rahmen transformativer und transdiziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien. In R. Defila & A. Di Giulio (Hrsg.), Transdisziplinär und transformativ forschen (S. 75–99). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21530-9

De Haan, G. (2008). Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung. In I. Bormann & G. De Haan (Hrsg.), Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde (S. 23–43). Springer VS.

Defila, R., & Di Giulio, A. (2018). Reallabore als Quelle für die Methodik transdisziplinären und transformativen Forschens—Eine Einführung. In R. Defila & A. Di Giulio (Hrsg.), Transdisziplinär und transformativ forschen. Eine Methodensammlung (S. 9–35). Springer VS.

Künzli David, C., & Bertschy, F. (2018). Bildung als Reparaturwerkstatt der Gesellschaft? – Die zu unterscheidenden Facetten von Bildung im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung. In S. Meisch, U. Jäger, & T. Nielebock (Hrsg.), Erziehung zur Friedensliebe. Annäherungen an ein Ziel aus der Landesverfassung Baden-Württemberg (S. 289–304). Nomos.

Singer-Brodowski, M. (2016). Transformatives Lernen als neue Theorie-Perspektive in der BNE. In Umweltdachverband GmbH (Hrsg.), Jahrbuch Bildung für nachhaltige Entwicklung – Im Wandel (S. 130–139). FORUM Umweltbildung im Umweltdachverband.

Sterling, S. (2010). Learning for resilience, or the resilient learner? Towards a necessary reconciliation in a paradigm of sustainable education. Environmental Education Research, 16(5–6), 511–528. https://doi.org/10.1080/13504622.2010.505427

Wanner, M., & Stelzer, F. (2019). Reallabore – Perspektiven für ein Forschungsformat im Aufwind. In Brief. Wuppertaler Impulse zur Nachhaltigkeit, 7, 1–8.

Durchgeführte Realexperimente

Realexperiment «Camera Natura»

Unterrichtsumgebung mit dem Ansatz Design Thinking (und Fotografie) für die 5./6. Klasse – Einblick in die Entwicklung

Realexperiment «Paranatur»

Unterrichtsumgebung mit bildender Kunst für die 3./4. Klasse – Einblick in die Entwicklung

Realexperiment «Schauplatz Natur»

Unterrichtsumgebung mit Theaterpädagogik für die 1. bis 3. Klasse – Einblick in die Entwicklung

Realexperiment «Hortus Sonus»

Unterrichtsumgebung mit Musik für den Kindergarten – Einblick in die Entwicklung
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